Was
treibt erwachsene Menschen an, sich freiwillig an
Journalistenpreisausschreiben zu beteiligen? Unerfahrenheit?
Gedankenlosigkeit? Man wird ja wohl nicht im Ernst einer sein wollen,
auf den sich eine Jury einigen kann, zumal eine, die aus anderen
Journalisten besteht. Also was? Die einzige Entschuldigung, die
zählt, wären Steuerschulden oder erlittenes Unrecht.
Journalistenpreise gibt es grundsätzlich nur für Reportagen, denn
Journalistenpreise sind grundsätzlich Trostpreise, mit denen Leid
und Entbehrungen aufgewogen werden sollen. Und Reporter müssen
vieles entbehren, nämlich etwa achtzig Prozent dessen, was die Welt
und das Leben ausmacht. Reporter sind für den traurigen Rest
zuständig. Dauernd müssen sie mit der Transsibirischen Eisenbahn
krebskranke Albinokinder beim Sterben begleiten. Alles andere wäre
frivol und beim Preisausschreiben völlig zu Recht chancenlos.
Außerdem müssen sie unablässig bedeutungsvolle Ein-Satz-Absätze
in ihre Texte stellen, das sieht, weiß Gott, bescheuert genug aus.
Nämlich
so.
Ist
aber wichtig für die Wirkung: Tiefe und so. Für 10 000 Euro
Preisgeld macht man selbst so was, und davon darf man, nach Steuern,
ungefähr die Hälfte ja sogar behalten; für viele freie
Journalisten, die manchmal ein ganzes Jahr Arbeit in so eine Sache
investiert haben, wäre das immer noch erfreulich viel Geld. Aber wer
das Geld nötig hat, kriegt den Preis eher selten. Diese Preise gehen
an die immer gleiche Sorte von Reportern für die immer gleiche Sorte
von Texten. Und solange für alles andere Sonderkategorien für
"humorvolle Berichterstattung" erfunden werden müssen, in
denen sich jemand mit Selbstwert- und/oder Sprachgefühl auch nicht
besonders wohlfühlen kann; so lange sind diese Preise nichts anderes
als die Subventionierung einer normativen Freudlosigkeit und die
Honorierung von maximalem Geldeinsatz zur Beschreibung maximalen
Elends. Anders gesagt: Auch Preisjurys machen am liebsten auf den
größten Haufen. Wenn die Preisausschreiber auch nur halb so sozial
orientiert wären, wie sie es von ihren Preisträgerthemen verlangen,
dann sollten sie mit ihren Preisen verdammt noch mal nicht dauernd
nach festangestellten "Spiegel"-Redakteuren werfen, deren
gewiss sehr gute Arbeit ohnehin sehr gut beachtet und sehr gut
bezahlt wird; sie könnten etwas für den Nachwuchs tun, der sich mit
unbezahlten Praktika unter Wasser hält, sie könnten journalistische
Formen fördern, mit denen bisher weder Ruhm noch Geld zu verdienen
waren, sie könnten denen unter die Arme greifen, die in sonderbaren
Fanzines, Stadtmagazinen oder Gratisblättern die sogenannte
Pressevielfalt in verblüffende Bereiche dehnen. Oder oder oder.
Wobei natürlich nicht gesagt sein soll, dass nicht auch das monatelang recherchierte Stück über die krebskranken Albinokinder ein großes Lesevergnügen sein kann, durch das sich die Welt wieder mal kein bisschen ändert. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom
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